Die Kristallkugel ist kaputt – Antwort 49

Die Kristallkugel ist kaputt – Antwort 49

„Es ist heute in fünf Jahren.
Wie waren die letzten fünf Jahre?“

Coaches denken sich das immer so schön mit diesen Fragen nach den Zukunftsvisionen.

Und ein Teil von mir findet Pläne schmieden auch wirklich super-cool! Es macht Spaß sich auszumalen, was sein wird. Es kann sehr befreiend sein, mal völlig grenzenlos „rum zu spinnen“ und sich vorzustellen: „Was wäre, wenn alles so läuft, wie ich es mir wünsche?“ Vielleicht kommt man damit verschütteten Wünschen und Sehnsüchten auf die Spur und das ist gut.

Aber eine konkrete Anleitung zum Handeln kann das in den meisten Fällen eher nicht sein. Ganz blöd wird es, wenn man krampfhaft an der Realität rumschraubt, um sie doch irgendwie mit der „Vision“ zur Deckung zu bringen. Oder wenn man Realität und Wunschdenken gleich ganz verwechselt.

Pläne geben einem das Gefühl von Sicherheit

Allerdings wird die Zukunft damit nicht wirklich berechenbarer. Die Unsicherheit geht nicht weg, es fühlt sich nur so an. Was im schlimmsten Fall dafür sorgt, dass auf mögliche Risiken viel zu wenig geachtet wird. (Aber das ist schon wieder ein ganz anderes Thema für ein andermal.)

In manchen Situationen sind solche Fragen nach Zukunftsvisionen allerdings sogar kontraproduktiv. In meiner jetzigen zum Beispiel.

Im Moment kann ich diesem Konzept so gar nichts abgewinnen.

Denn ich habe nicht die geringste Ahnung, was in den nächsten fünf Jahren passieren wird. Natürlich habe ich Wünsche und Träume. Aber ob ich daraus Pläne stricken kann, die umsetzbar sind, darüber entscheide ich nicht mehr alleine. Da hat die Fibro-Zicke ein gewichtiges Wörtchen mitzureden. Die sitzt jetzt immer mit am Tisch. Ob ich sie dabei haben mag oder nicht. Das ist egal. Sie ist da und sie wird bleiben.

Ob sie zu einem Bulli wird, die alles bestimmt, das weiß ich nicht. Ich weiß im Moment noch gar nicht so viel. Ich bin Fibro-Newbie. Wie hat es die Ärztin hier in der Reha ganz lässig gesagt: „Ach so, sie stehen da ja erst ganz am Anfang. Sie haben die Diagnose ja erst so kurz!“

„Wie bitte!?“, dachte ich da. „Ganz kurz??? Ich laboriere damit jetzt seit neun Monaten herum! Das ist eine EWIGKEIT!“ Dann dämmerte mir etwas: „Oh!!! – Ganz kurz im Vergleich zu … dem Rest meines Lebens…Oohh!“

Seltsamerweise war das erleichternd. Sehr sogar. Ich muss noch gar nicht alles wissen und einen ganz konkreten Plan haben, wie ich das alles so machen will. Im Gegenteil: Es gibt noch eine Menge zu entdecken und auszuprobieren und zu erfahren.

Es werden auf jeden Fall auch noch einige Rückschläge und blöde Erfahrungen warten. Da ich nicht weiß, wann was wie sehr belastend auftaucht: Wie soll ich da eine Idee davon haben, wie die nächsten fünf Jahre sein werden? Ich weiß ja noch nicht mal, wie es mir in 5 Monaten gehen wird.

Im Moment ergibt es keinen Sinn, mir darüber viele Gedanken zu machen! Ich brauche meine Energie für etwas anderes. Ich will den Sirenenrufen der Frage widerstehen.

Ich mache mir lieber Gedanken um das „WIE leben“

Ich habe im Moment nur begrenzte Informationen darüber, wie viel und WAS ich mir konkret vornehmen kann zu tun.  Was ich jedoch wissen kann ist, WIE ich leben will.

Also nochmal: Es ist August 2026 – Wie waren die letzten fünf Jahre?

Ich hoffe, ich war gelassen, mutig und freundlich im Umgang mit mir, mit anderen und meinem Leben.

Ich hoffe, ich habe viel und mit Wonne (und Erfolg!) improvisiert, wenn es nötig war.

Ich hoffe, ich habe geweint, gelacht, gebangt, gewütet und gehofft. (Und sowieso alle Gefühlsschattierungen, die da waren, wahr genommen und gelebt.)

Ich hoffe, ich habe gearbeitet. – Als Autorin, Coach, Texterin oder als ???
Vielleicht ist mir das aber auch ein bisschen egaler geworden als was genau ich arbeite, solange es mich erfüllt und ich eine faire Bezahlung bekomme.

Ich hoffe, einige Wünsche haben sich erfüllt. – Welche genau? Ehrliche, wichtige Wünsche eben! Vielleicht ist es mir ein bisschen egaler geworden welche genau, solange es schöne Zeiten, gute Begegnungen und intensive Erfahrungen bedeutete.

In fünf Jahren werde ich fünf Jahre mehr Erfahrung und Übung  im Leben mit viel Ungewissheit haben. Hoffentlich beunruhigt mich das dann nicht mehr so sehr wie jetzt noch häufig.

Vorwärts leben, rückwärts verstehen

Aber mal anders geschaut: Habe ich nicht schon massenweise Erfahrungen mit „ungeplant leben“?
Ganz direkt gefragt: Habe ich überhaupt schon mal WIRKLICH NACH PLAN gelebt?

Ähmmmm…

Ich würde hier gerne Kierkegaard zitieren (putzig intellektuell – ich weiß!).
Aber er hat nun mal recht.

„Das Leben kann nur in der Schau nach rückwärts verstanden,
aber nur in der Schau nach vorwärts gelebt werden.“

Kurz: Vorwärts leben, rückwärts verstehen.

So wird aus meinem Lebenslauf eine „Karriere“, die mit ihren Stationen wie ziemlich gut geplant aussieht. Der Witz ist, ich meine Jobs durch Zufälle bekommen habe. Zum richtigen Zeitpunkt gefragt – in einem Fall Nachmittags nicht Vormittags – am selben Tag! Eine Job-Tipp von Freunden bekommen. Zufällig eine Anzeige gesehen in der Zeitung, in die ich sonst NIE hineinschaue.

In meiner Coach-Ausbildung bin ich gelandet, weil ich in einer englischen Zeitschrift einen Artikel über ein Buch gelesen habe, das mich ansprach. Meinen Mann habe ich kennengelernt, weil ich zu einem Tanzkurs für alte Tänze gegangen bin, für den ich eine Kleinanzeige im Stadtmagazin gesehen hatte. Und wenn mich meine damalige Mitbewohnerin nicht überredet hätte auch ohne sie hinzugehen…nun ja, nächste Woche sind wir 19 Jahre verheiratet.

Ich scheine also ganz gut darin zu sein, Chancen zu ergreifen, wenn sie sich bieten.
Und bin damit bisher ziemlich gut gefahren. Das ist mir durch das Schreiben dieses Textes erst so richtig bewusst geworden! Dass das eine Stärke von mir ist die mich ziemlich gut dafür wappnet, in ungewissen Zeiten zu leben.

Denn „gewiss“ und „sicher“ kamen mir „die Zeiten“ sowieso noch nie vor. 

Ich kann langfristige Pläne in Wirklichkeit noch nicht mal leiden!

So! Nun ist es heraus! Ja, ich bin Coach und kann nicht mit langfristigen Plänen!

Denn ich finde sie vor allem eins: Unzuverlässig! Denn ich glaube sowieso nicht mehr daran, dass sie wirklich genau so realisierbar sind, wie ich mir das ausdenke. Dazu hat mir „das Leben“ auch schon viel zu oft welche verhagelt, wenn ich sie denn mal hatte. Ich brauchte schon so oft einen Plan B, C oder D. Wieso also einen starren Plan haben?

Ich improvisiere auch noch gern! Und das nicht nur im Impro-Theater. (Siehe auch Antwort 26.)

Im Übrigen machen mir detaillierte Pläne auch noch Langeweile! Ich langweile mich übrigens hochgradig ungerne!
Ich mag es, angenehm überrascht zu werden. Von mir selber, vom Leben, von anderen Menschen.
Dann staune ich. Was alles geht! Was alles passieren kann!

Ich staune sehr gerne. Staunen macht übrigens auch noch glücklich!

Pläne für Projekte mag ich aber

Überschaubare Zeiträume, Anfang und Ende. Toll!
Ich mag es natürlich auch, wenn ein Plan aufgeht. Das ist sehr befriedigend!
Ich mag es auch, mir einzelne Puzzleteile fürs Leben auszudenken und die Realisierung dann auch „durchzuziehen“: Workshops, Artikel, Blumenbeete, Urlaube, schöne Abende und schöne Tage, schöne Stunden…all das eben, was ein gutes, erfüllendes Leben ausmacht.

Die Angst vor Ungewissheit darf mir nicht dazwischen kommen

Denn dann glaube ich schnell, dass Kontrolle haben, eine viiiel bessere Idee ist, als die Dinge auf sich zukommen zu lassen. Und fange dann doch wieder an, große, weitreichende Pläne zu schmieden und in Eventualitäten zu denken. Dann bin ich mit den Gedanken in irgendeiner fernen Zukunft, die sicher erscheint, bloß weil ich sie mir ausgedacht habe. Das ist ein Denkfehler! Und hilft mir bei der Bewältigung der Gegenwart meist nur wenig.

Wenn ich also mal wieder in die Kristallkugel blicken will, um mich zu beruhigen, werde ich mich hoffentlich erinnern:

Die Kristallkugel ist kaputt!
Und sie war auch noch nie ganz!

 

 

 

 

 



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