Mein Trostort braucht jetzt selber Trost – Antwort 54

Mein Trostort braucht jetzt selber Trost – Antwort 54

Frage 54: Du bist traurig. Wohin gehst du, wenn du überall hingehen könntest?

Orte trösten mich anders als Menschen. Orte sind einfach da, sie lassen sich von meiner Stimmung nicht aus der Bahn werfen. Orte wollen nichts von mir, ihnen ist es egal, wie es mir geht. Sie sind einfach weiter schön. Völlig unbeeindruckt. Und genau das finde ich tröstlich: Nicht die ganze Welt ist untergegangen. Mein Grund für meine Traurigkeit ist nicht alles umstoßend. Wie gut!

Meine Trostorte

Ich habe glücklicherweise solche Orte. Ich kann mir vorstellen, dort zu sein, das hilft schon mal. Oder ich kann ganz real hinfahren, wenn es düster wird. Das ist unglaublich wertvoll. Wie wertvoll wird mir gerade jetzt wieder einmal mehr klar.

Denn bis vor kurzem hätte ich die Frage so beantwortet:

Wenn ich mich teleportieren könnte, wenn ich traurig bin, würde ich mich in ein bestimmtes Café beamen lassen. In ein Café in einem gelben Haus an einem schwarzen Strand in Puerto de Tazacorte. Dort würde ich einen Barraquito trinken. Diesen geschichteten Kaffee mit gesüßter Kondensmilch am Boden des Glases. Darüber ein starker Espresso, dann eine Milchschaumhaube, bestäubt mit  Zimt. Wenn es perfekt ist, hat der Barista noch einen Zitronenschalenschnitz hineingeworfen. Ach ja, es ist auch noch Liquore 43 drin.

Diese Köstlichkeit in diesem Café im Spätnachmittagslicht lässt Traurigkeit leichter ertragen. Ich weiß das, weil ich diese Wirkung oft getestet habe. Dasselbe gilt übrigens für einen Barraquito in einem der Kioskos am Strand von El Remo oder für einen Milchkaffee im Café Aloe am Wanderweg bei den riesigen, uralten Drachenbäumen.

Alle drei Cafés sind auf La Palma, meiner Trostinsel. Dort anzukommen war seit dem ersten Besuch wie „nach Hause kommen“. Unerklärlich und schön. Ich war noch nie dort gewesen und spreche nicht einmal Spanisch. Und trotzdem hat die Insel diese Wirkung auf mich: Die Landschaft, die Berge, das Meer, die Wanderwege, unsere kleinen Ferienhäuschen. Und eben die wunderbaren Cafés. Es hat bei jedem Besuch wieder funktioniert.

Seit der Vulkan ausgebrochen ist, macht mich der Gedanke an La Palma traurig und tröstet überhaupt nicht mehr. Die Insel, wie sie war, ist unter einem Lavastrom verschwunden. Viele tausend Menschen sind evakuiert, haben alles verloren. Unerbittliche Natur. Machtloser Mensch.

Mein Kopf kann die Bilder noch nicht zusammensetzen: Meine Erinnerungen und die Nachrichtenbilder. Es passt einfach nicht zusammen. Zu surreal, zu groß ist das, was dort gerade passiert. Ob ich jemals wieder dorthin fahren werde? Will ich es? Wo es doch so anders aussieht. Ob die Häuschen noch stehen, in denen wir unseren Urlaub verbracht haben? Kann das noch mein Trostort sein?

Was ist „Heimat“, wenn die Landschaft plötzlich ganz anders aussieht? Wenn das Zuhause völlig verschwunden ist? – Trost, so viel Trost ist jetzt nötig. Ich hoffe, dass die Menschen dort ihre Trostmenschen und Trostorte finden. Neue Heimatorte, irgendwann.

Ich habe Glück, großes Glück. Denn ich habe noch andere Trostorte.
Was für ein Reichtum, auch wenn der Anlass niemals ein schöner ist.

 

 

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