Manchmal ist Schreiben wie unter Wasser atmen – Samstagsblog

Manchmal ist Schreiben wie unter Wasser atmen – Samstagsblog

Ich erinnere mich an mein erstes Tagebuch. Es war in dunkelbraunes Leder gebunden, in das ein Wappen geprägt war. Außerdem hatte es  einen Goldschnitt wie mein Gesangbuch für die Kirche. Es wurde mit einem goldenen Schnapper geschlossen, den ich sogar abschließen konnte. Meine Tante Margit hatte es mir zum Geburtstag geschenkt, damit ich immer jemanden hätte, der mir zuhört. Ihr war wohl klar, dass zwölf Jahre Einzelkind sein, es mir nicht so leicht machen würden, mich damit abzufinden, dass meine Eltern sich jetzt vor allem um den neu angekommenen kleinen Bruder kümmern würden. 

Notizbuchliebe

Es dauerte eine Weile bis ich mich getraut habe, hinein zu schreiben. Das Buch sah zu kostbar aus und ich dachte, ich könne nur wirklich wichtige Erlebnisse hineinschreiben. Doch irgendwann habe ich doch damit angefangen, meine alltäglichen Sorgen, Nöte und was mir eben so passierte aufzuschreiben.
Damit fing meine Notizbuchliebe an. Seitdem habe ich einen großen Stapel Tagebücher, Notizbücher und Collegeblöcke voll geschrieben.
Es sind Chinakladden dabei: Schwarz eingebunden mit roten Ecken und schlechtem Papier. Bunt eingebundene Notizbücher, manche ganz zerschrabbelt, weil sie mich auf Reisen begleitet haben, andere sehen wie neu aus und es sind nur wenige Seiten beschrieben. – Es gab immer mal wieder größere Lücken und ich habe nicht geschrieben. Wenn ich dann doch wieder anfing, habe ich mit einem neuen Buch gestartet. Viele leere Seiten, so wie bei den neuen Heften nach den Schulferien. Diesmal würde wirklich alles anders werden.

Ich schreib mich durch die Krise

In den vergangenen gut zwei Jahren habe ich so viel geschrieben, wie noch nie zuvor in meinem Leben: Hier auf dem Blog die „60-Fragen-Challenge“ und die „Wilde Reise“. Außerdem Freewritings für meine Schreibgruppe und Texte für den Schreiblehrgang beim writers‘ studio. (Da war auch meine erste Kurzgeschichte dabei.) Ich habe stapelweise Journals gefüllt, um mit meinem Krankheitsscheiß besser klar zu kommen und das Gefühlschaos wegen Dauerschmerzen wenigstens ein wenig runterzuregulieren. Ich habe mit den verschiedensten Techniken experimentiert: Freewriting, serielles Schreiben, Schreibimpulsen folgen, 10-Minuten-schreiben, Elfchen und Haikus ausprobiert.

Die beiden wichtigste Erkenntnis dabei:

Schreiben können hat nicht so viel mit „Genie“ und Talent zu tun, wie ich dachte. sondern damit, möglichst viel zu schreiben. Und die innere Kritikerin, während ich den „shitty first draft“ schreibe, auf Stand-by zu schalten.

Im letzten Workshop des Lehrgangs haben wir unsere Schreibmanifeste geschrieben. Also zum Beispiel formuliert warum und wie wir schreiben wollen oder mit welcher Haltung. Einen Teil meines Manifests siehst du auf dem Beitragsbild. Wenn es mir richtig schlecht ging und ich mich „komplett unter Wasser“ gefühlt habe und nicht wusste, wie es weitergehen sollte, habe ich mich immer wieder zum Schreiben hingesetzt. Und alles rausgeschrieben, was mir auf dem Herzen und der Seele lag. Danach war ich zwar immer noch unter Wasser, aber ich hatte das Gefühl, trotzdem wieder Luft zu bekommen. Möglichkeiten auf dem Papier gab es immer. Schreiben war also wie unter Wasser atmen können.

Schreiben zum Selbstcoaching

Während ich diesen Blogbeitrag schreibe, bin ich in Berlin beim Trainerkongress. Und natürlich gehe ich zu dem Workshop, der sich mit Schreiben als Werkzeug im Training beschäftigt. Sandra Maria Fanroth hat davon berichtet, dass die Schreibforschung (was es alles gibt!!!) bestätigt, was meine Erfahrung im vergangenen Jahr war: Schreiben hilft Krisen besser zu überstehen und eröffnet neue Handlungsmöglichkeiten. Was ich aufschreiben kann, habe ich schon mal im Geist ausprobiert. Dann ist der Weg zum Tun schon mal ein bisschen kürzer.

Schreibimpulse

Damit du das gleich mal ausprobieren kannst, hier ein paar Vorschläge aus dem Workshop:

Meine „Mitschrift“ vom Trainerkongress
  • Die eigene Grabrede schreiben
    (oder eine Rede, die jemand auf dich an deinem 90.Geburtstag hält)
  • Schreibe eine „Ode an die Freude“:
    “ Oh Freude, du erquicklistes aller Gefühle…“ oder so… 😉
  • Schreibe eine Liste deiner „Moments of excellence“
  • Ein Wutpamphlet verfassen ist auch mal eine gute Idee.

 

 

 

 

 

 

 

Ich wünsche dir viel Freude und Selbsterkenntnis beim Ausprobieren.

Hast du schon mal durch Schreiben deine Probleme oder Gefühle beleuchtet?
Oder vielleicht sogar Lösungen gefunden?

Berichte in den Kommentaren gerne von deinen Schreiberfahrungen.

 

Wenn wir in Workshops oder im 1:1-Coaching miteinander arbeiten,
verwende ich ebenfalls oft Schreibübungen, um Dingen besser auf den Grund zu kommen.

Vorkenntnisse oder besondere Übung im Schreiben benötigst du dafür nicht.
So wie wir miteinander schreiben hat nichts damit zu tun,
was du mal im Deutschunterricht machen musstest.

 



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