60 Fragen – Antwort 13 – Komplimente
Welche Komplimente hast du nicht verdient?
Komplimente sind Geschenke und ich nehme jedes, das ich bekomme, mit Dank entgegen.
Meine innere Kritikerin hat allerdings ihre ganz eigene Meinung zu dem Thema. Erstens müssen Komplimente grundsätzlich für etwas gemacht werden, dass sie auch gut an mir finden würde, wenn es da wäre. Sie nimmt also gerne welche zu Schnelligkeit, Wissen und am allerliebsten für Leistungsfähigkeit entgegen. Gern mag sie, wenn Dinge hervorgehoben werden, die hart erarbeitet wurden, für die wir uns angestrengt haben. Komplimente zum Aussehen sind ihr suspekt, sie findet mein Äußeres stark verbesserungsfähig.
Zweitens ist ihr wichtig, dass Komplimente „wahr“ sind. Wenn sie die Meinung des*der Komplimentegeber*in nicht teilt, kann sie regelrecht wütend werden. Sie fühlt sich missverstanden.
In langwierigen Diskussionen habe ich versucht, ihr zu erklären, dass ein Kompliment etwas ist, mit dem uns jemand eine Freude machen will. Und dass es um etwas geht, das jemandem gut an uns gefällt oder positiv aufgefallen ist. Sie bleibt dabei, dass es korrigiert gehört, selbst wenn es mich in ein gutes Licht setzt oder mir Freude macht.
Dass wir nicht kontrollieren können, was andere über uns denken, will ihr einfach nicht in den Kopf. Sie will so gerne die Kontrolle darüber behalten.
Ich wollte ihr klar machen, dass eine andere Person von außen auf uns schaut und dadurch vielleicht etwas sieht, was sie von ihrem Standpunkt aus gar nicht sehen kann. Wenn sie von außen auf mich schauen könnte, würde sie vielleicht dasselbe wahrnehmen. Wer weiß?
Meine innere Kritikerin ist diesen Argumenten leider nicht sehr zugänglich.
Sie schüttelt weiter genervt den Kopf, wenn sie mein „Danke!“ hört und merkt, wie ich lächele, wenn mir jemand ein nettes, ehrlich gemeintes Kompliment gemacht hat. Ihre feste Überzeugung ist, dass ich sowieso nur wenige Komplimente verdient habe und dass Komplimente grundsätzlich nur dafür da sind, um etwas von mir zu erschmeicheln. Davor will sie mich schützen. Dabei schießt sie allerdings gehörig über das Ziel hinaus.
Aber sie hat auch nicht so viel Ahnung von der Welt da draußen. Meistens treibt sie sich nur in meinen dunkelsten und finstersten Gedankengängen herum. Selten schaut sie mal aus dem Fenster. Ich glaube, sie verträgt kein Sonnenlicht. Die Welt, in der sie lebt, ist ziemlich düster, trist und von Misstrauen geprägt.
Früher hat sie sich oft durchgesetzt
Sie hat sich früher oft durchgesetzt und mich dazu gebracht, Komplimente mit Sätzen wie „Ach, das war doch nichts!“ – „Ach, das habe ich schon so lange!“ oder „Jetzt übertreibst du aber!“ abgewehrt. Meistens noch kombiniert mit einer wegwerfenden Handbewegung und einem schiefen Lächeln. Ganz, ganz früher bin ich sogar rot geworden.
Irgendwann hat mich eine Freundin nach einer solchen Aktion mal gefragt, ob ich ihr auch einen Blumenstrauß, den sie mir mitgebracht hätte, so um die Ohren hauen würde.
Wie bitte? Natürlich nicht!
Oooohhhh! … Autsch! Das hat gesessen.
Ich habe angefangen, endlich mal darüber nachzudenken, was das beim Komplimentegeber auslöst, wenn ich einfach nur abwinke. Im Prinzip also ein Geschenk zurückweise, dass er*sie mir machen will.
Und ich habe mich an einige Situationen erinnert, in denen mir das umgekehrt auch passiert ist. Das fühlte sich nicht gut an. Als Komplimentegeberin fühlte ich mich ein Stück weit in meinem treffsicheren Urteil gekränkt und mir war unangenehm, dass es meinem Gegenüber unangenehm war.
Hätte ich doch meinen Mund gehalten! Bestimmt fühlt sie sich jetzt völlig missverstanden.
Was ich allerdings nie gedacht habe war: „Wie ist sie doch so wunderbar bescheiden!“
Aber die Konditionierung sich bescheiden zu geben, sitzt echt tief – gerade unter Frauen!
Ja, immer noch! Ich weiß, total blöd! Ich war auch entsetzt, als mir klar wurde, was ich da selber noch mache!
Wie soll denn Ermutigung und Bestärkung funktionieren, wenn es zu unangenehmen Situationen kommt, kaum, dass jemand mal was Positives über jemanden sagt?
Und wenn es dann zu positivem Feedback in weiterem Sinne kommt, grenzt die Abwehr schon an Selbstsabotage.
Ich weise das zurück, was mich stärken könnte. Nicht gerade clever!
Das alles verstanden zu haben, war zwar schon mal ein guter Anfang, davon konnte ich aber weder unbefangen Komplimente oder positives Feedback geben geschweige denn sie locker annehmen. Die innere Kritikerin hat eben nicht einfach so Ruhe gegeben, sondern immer wieder dazwischen gefunkt.
Praise makes you brave
Diesen Satz von Barbara Sher aus meiner Coach-Ausbildung habe ich dank ihr auch lange nicht verstanden. Ich habe mich gefragt, wie ich besser werden soll, wenn ich dauernd nur Lobhudeleien vorgesetzt bekomme. Ich brauche doch klare Ansagen, was alles falsch ist, um es verbessern zu können.
Wirklich weiter bin ich dann in diesem Jahr gekommen: Da habe ich „Friendly Feedback“ kennengelernt. Das ist eine besondere Form des Feedback, das ich bei Kursen des Wiener Writer‘s Studio gelernt habe.
In meiner Schreibgruppe geben wir uns seit dem Frühling regelmäßig diese Form des Feedback zu unseren Texten. Es ist jedes Mal eine tolle Erfahrung und spornt mich an, immer weiter zu schreiben und mich mehr zu trauen in meine Texten. Die Ermutigung durch positive Rückmeldungen habe ich bisher definitiv unterschätzt.
Seitdem mir das klar geworden ist, auf was ich da früher so leichtfertig verzichtet habe, sage ich meistens einfach nur „DANKE!“ und lächle.
Dafür muss ich großzügig über das Augenrollen und Seufzen meiner inneren Kritikerin hinweghören. Sie hält sich immer noch an:
„Blüh‘ wie das Veilchen im Moose:
Sittsam, bescheiden und rein.
Und nicht wie die stolze Rose,
die immer bewundert will sein.“
Das hat sie sich aus meinem Poesiealbum von vor 40 Jahren ganz genau gemerkt.
Ich finde inzwischen viel wichtiger, dass ich die positive Wirkung von Komplimenten an mich herankommen lasse
Und sich mit dem „Danke!“ zwei Personen freuen: Die*der Komplimente-Schenker*in und ich.
Disclaimer
Es geht hier nur um ehrlich gemeinte, echte Komplimente. Alles, was sexistisch, rassistisch oder in sonstiger Weise diskriminierend oder verletzend daherkommt, ist damit ausdrücklich nicht gemeint.
Solche „Komplimente“ gehören mit deutlichen Worten zurückgewiesen. Genauso wie Schmeichelei, Schleimerei oder sonstige manipulative Kommentare, die im Gewand eines Komplimentes daherkommen.